Experimente mit Zeitlupenvideos verstehen
Viele chemische Reaktionen wie Verbrennungen laufen schnell ab. Man verpasst leicht den Schlüsselmoment der Reaktion oder dieser ist für das menschliche Auge erst gar nicht wahrnehmbar. Die Schüler:innen können dann den Prozess nicht nachvollziehen [1]. Durch ein simples Zeitlupenvideo der Reaktion, aufgenommen mit einem Tablet oder Smartphone, können chemische Phänomene für Lernende sichtbar und so zugänglicher gemacht werden [2]. Im Folgenden werden der Mehrwert der Zeitlupenaufnahmen, die technischen Vorrausetzungen für den Einsatz im Unterricht, Tipps und Hinweise für die Umsetzung erläutert sowie einige konkrete Experimente aus dem Themenbereich Verbrennung vorgestellt, bei denen der Einsatz von Zeitlupenvideos hilfreich ist. Weitere Experimente für die Biologie, Physik und Chemie finden sich in der weiterführenden Literatur.
Entwickelt von Rebecca Tscheslog und Diana Graf
⬤ Unsere Einsatzideen für Zeitlupenvideos kurz vorgestellt
- Zielgruppen: Sekundarstufe I
- Fächer: Chemie
- Themengebiet: Verbrennungen
- Ziel: Verständnis für Verbrennungsprozesse fördern
⬤ Mehrwert einer Zeitlupenaufnahme
- Schüler:innen haben Probleme den Prozesscharakter und die Dynamik chemischer Reaktionen zu erfassen, denn im Chemieunterricht liegt der Fokus häufig auf dem Ausgangs- und Endzustand. Der Prozess wird nur durch den Pfeil einer Reaktionsgleichung symbolisiert. Die Zeitlupenaufnahmen richten das Augenmerk auf den Ablauf der chemischen Reaktion und fördern so prozessorientiertes Denken, das für das Verständnis komplexer Themen der Chemie wichtig ist [1].
- In Realgeschwindigkeit nicht wahrnehmbare Aspekte und mehr Details der chemischen Reaktion können durch ein Zeitlupenvideo beobachtet werden. Chemische Phänomene werden dadurch greifbarer und besser verstanden [3].
- Die Beobachtungsgabe der Lernenden wird geschult [4].
- Experimente können aus sicherheitstechnischen, ökonomischen, ökologischen oder schlicht zeitlichen Gründen im Unterricht nicht beliebig oft durchgeführt werden. Ein Video kann ohne großen Aufwand erneut betrachtet werden. Es kann in folgenden Unterrichtsstunden als Erinnerungshilfe und Aktivierung der Schüler:innen dienen [5] oder auch, um die Beobachtungen in der Folgestunde für die Auswertung des Versuchs heranzuziehen [3].

Abbildung 1: Screenshots von den Schlüsselszenen des Experiments “Flammensprung” aus Zeitlupenaufnahme.
Ob ein Mehrwert in der Aufnahme eines Zeitlupenvideos besteht, ist abhängig vom Experiment. Bei diesen schnell ablaufenden Verbrennungsreaktionen ist eine Zeitlupenaufnahme hilfreich:
Zu folgenden Experimenten bieten wir im Downloadbereich Material an.
Experiment: Flammensprung
- Das „Wandern“ der Flamme entlang der Aerosolfahne aus Wachs bzw. Crackprodukten bis hin zum Docht, das wir sonst als Flammensprung wahrnehmen, wird visualisiert. Die Bedingungen einer Verbrennung (Brennstoff, Luftsauerstoff und Entzündungstemperatur) können in der Zeitlupenaufnahme identifiziert werden. Fachlich nicht angemessenen Vorstellungen wird entgegengewirkt [3].
Experiment: Staubexplosion
- Die Explosion wird Schritt für Schritt visualisiert. Man erkennt, dass die Stichflamme ausgehend von der Zündquelle aus entsteht. Man kann einzelne Funken identifizieren, Staubpartikel die verbrennen. Der rasante, zeitliche Verlauf der Reaktion lässt sich genauer einschätzen [5].
Experiment: Explodierender Wasserstoffballon
- Es wird visualisiert, dass die Flamme der Kerze ein Loch in die Hülle des Ballons schmilzt, dort das austretende Wasserstoffgas entzündet und anschließend die ganze Ballonhülle reißt. In der Zeitlupenaufnahme sieht man, dass sich zunächst nur in den äußeren Bereichen ein zündfähiges Gemisch aus Sauerstoff und Wasserstoff bildet. Ein „Ring“ aus Flammen entsteht ehe sich ein Feuerball überall im Bereich des ehemaligen Ballons bildet [3]. Die Zeitlupenaufnahme ermöglicht eine tiefgreifende Diskussion über die Bedingungen einer Verbrennungsreaktion und deren zeitlichen Verlauf [5].
⬤ Technische Voraussetzungen
- Für Schüler:innenexperimente wird ein Smartphone oder Tablet pro Gruppe benötigt.
- Für Demonstrationsexperimente wird ein Smartphone oder Tablet benötigt.
- iOS: Zum Aufnehmen der Videos kann die „Slo-Mo“-Funktion der vorinstallierten Kamera-App genutzt werden (meist 120 oder 240 fps, Geschwindigkeit 25%). Ein in Realgeschwindigkeit aufgenommenes Video (meist 30 oder 60 fps) kann auch im Nachhinein mit der vorinstallierten App iMovie verlangsamt werden.
- Android: Zum Aufnehmen der Videos eignet sich z.B. die kostenfreie App Slow-Motion-Videoeffekte.
Je nach Experiment muss das Smartphone oder Tablet fähig sein Videoaufnahmen mit einer bestimmten Aufnahmerate zu machen.
Tabelle 2: Höchstmögliche Aufnahmeraten verschiedener Smartphone-Modelle. Im Jahr 2020 besaßen die meisten Schüler:innen Modelle von Samsung, Apple oder Huawei [6].

Benötigte Aufnahemeraten für verschiedene Experimente

Hinweise zur Aufnahmerate
Flammensprung:
- Bei einer Verlangsamung eines Videos mit 30 fps um 1/8 sieht man wie die Aufnahme zum nächsten Frame springt. Dennoch kann man verfolgen wie die Flamme an der Aerosolfahne entlang „wandert“. Für eine lückenlose Aufnahme kann auch mit 120/240 fps gefilmt werden. Allerdings ist hier bei künstlicher Beleuchtung schnell ein Flackern in der Aufnahme.
Explodierender Wasserstoffballon:
- Bereits bei 240 fps und einer zusätzlichen Verlangsamung der Zeitlupenaufnahme auf 1/8 mit z.B. iMovie sieht man wie ein Loch im Ballon entsteht und sich dort eine Flammenzunge bildet, was man in Realgeschwindigkeit verpasst. Für die Beobachtung, dass sich zunächst dort ein Ring aus Flammen bildet, wo genügend Sauerstoff für die Reaktion zur Verfügung steht, bevor überall Flammen entstehen, ist die höhere Aufnahmerate von 480 fps notwendig.
⬤ Ideen für die Umsetzung im Unterricht
Vorher angefertigte Zeitlupenaufnahmen können als Ergänzung zum (Demonstrations-)Experiment vorgeführt werden oder von Schüler:innen selbst mit dem (eigenen) Smartphone oder Tablet bei der Durchführung eines Versuchs erstellt werden. In den Handreichungen im Downloadbereich werden unterschiedliche Experimente für den Chemieunterricht beschrieben, bei denen ergänzende Zeitlupenaufnahmen hilfreich sind:
- Flammensprung,
- Staubexplosion,
- Explodierender Wasserstoffballon.
Die Handreichungen beinhalten einen didaktischen Kommentar, der unteranderem aufzeigt, welche chemischen Fachinhalte anhand der Experimente erworben werden können. Sie enthalten zudem eine Erklärung des fachlichen Hintergrundes und eine Versuchsanleitung mit einer Liste benötigter Materialien und Chemikalien sowie der Durchführung.

Abbildung 2: Screenshot aus der Zeitlupenaufnahme einer Staubexplosion.

Abbildung 3: Screenshot aus der Zeitlupenaufnahme eines explodierenden Wasserstoffballons.
⬤ Tipps und Hinweise für die Umsetzung im Unterricht
- Zeitlupenfilme sollten Experimente nicht ersetzen nur ergänzen, da über die Durchführung und Beobachtung des Realexperiments wichtige originäre, sinnliche Erfahrungen gemacht sowie feinmotorische Fähigkeiten und Fachmethoden geschult werden [3].
Bei der Vorbereitung
- Als Hilfe für die Erstellung der Zeitlupenvideos durch die Schüler:innen können zu Beginn gemeinsam mediale Bewertungskriterien bestimmt und dokumentiert werden wie die Hintergrundauswahl und Aufnahmeperspektive (vorgefertigtes Bewertungsraster im Downloadbereich) [2].
- Die Kriterien können z.B. anhand eines fehlerhaften Online- oder selbstgedrehten Videos und der Gestaltgesetze für Versuchsapparaturen [7] oder Gesetze des Sehens [8] erarbeitet werden [2].
Beim Filmen
- Stativ einsetzen (oder stattdessen eine durchsichtige Box, die über das Experiment gestellt wird), denn dies erhöht die Bildqualität [2] und entlastet die Lernenden bei der Kameraführung.
- Bei Spritz- oder Explosionsgefahr Plexiglas zwischen Versuchsapparatur und Kamera anbringen [5].
- Einfarbige Kartons oder Stoffe bereitstellen, die als homogene Hintergründe hinter dem Experiment angebracht werden können. Bei Demonstrationsexperimenten kann ein Karton z.B. mit Magneten an der Tafel befestigt werden. Verbrennungen heben sich vor einem dunklen Hintergrund deutlicher ab. Zudem wirken Schatten auf dunklem Karton weniger auffällig.
- Für eine passende Beleuchtung sorgen:
- Je höher die Bildfrequenz desto mehr Schwierigkeiten treten bei der Beleuchtung auf. Leuchtstoffröhren und Energiesparlampen führen zu einem Flackern in den Aufnahmen [3, 4, 5].
- Tageslicht nutzen, wenn der Raum ausreichend hell ist, da so kein Flackern auftreten kann. Die Helligkeit und der Kontrast können im Nachhinein einfach verbessert werden (bei iOS direkt in der Foto-App).
- Ist das Experiment mit Tageslicht nicht ausreichend ausgeleuchtet, Halogenlampen oder LED-Lampen mit Gleittrichter z.B. Baustrahler nutzen [3, 5]. Schatten können minimiert werden, indem Pergamentpapier über die Strahler gelegt wird [3, 5]. Vorher testen, denn auch bei Baustrahlern kann u.U. ein leichtes Flackern auftreten.
- Ein dunkler Hintergrund lässt Flackern weniger störend wirken.
- Reicht eine geringe Aufnahmerate von 30 oder 60 fps einer „normalen“ Videoaufnahme aus, kann das Video im Nachhinein verlangsamt werden. Bei dieser Aufnahmerate tritt kein Flackern auf.
- Die Auflösung ist bei der „Slo-Mo“-Funktion von iOS erniedrigt. Reicht eine geringere Aufnahmerate für das Experiment aus, die Reaktion in Realgeschwindigkeit filmen und bei iMovie verlangsamen.

Abbildung 4: Ein homogener Hintergrund lenkt die Schüler:innen nicht von dem zu beobachtenden Phänomen ab.
Beim Bearbeiten
- Um die Datenmenge und die Länge des Videos zu begrenzen, sollte nur der entscheidende chemische Prozess in Zeitlupe sein. Momente wie das Anzünden der Aerosolfahne beim Experiment Flammensprung können in Originalgeschwindigkeit abgespielt werden. Bei der „Slo-Mo“-Funktion von iOS lassen sich Zeitlupenausschnitte nachträglich verschieben, verlängern, verkürzen oder entfernen (Schritt-für-Schritt-Anleitung der Kamera- und Foto-App im > Downloadbereich).
- In iMovie können Videos auf max. 1/8 verlangsamt werden. Speichert man die Aufnahme im mov-Format, öffnet und bearbeitet sie erneut, lässt sich das bereits verlangsamte Video wiederum auf max. 1/8 entschleunigen. So lassen sich die Aufnahmen beliebig verlangsamen (Schritt-für-Schritt-Anleitung für iMovie im > Downloadbereich).
Bei der Auswertung
- Durch Screenshots aus dem Zeitlupenvideo können die Schlüsselmomente einer chemischen Reaktion herausgestellt werden [3]. Wird das Zeitlupenvideo ergänzend zu einem Demonstrationsexperiment gezeigt, ist es methodisch sinnvoll, den Zeitlupenfilm zweimal im Anschluss an das reale Experiment abzuspielen [9], einmal in Gesamtheit mit der Aufgabe die Schlüsselszenen zu identifizieren, ein zweites Mal, um Screenshots der Stellen aufzunehmen. Die Schüler:innen geben dafür Anweisungen, bei welcher Szene das Video gestoppt werden soll.
- Die Videoaufnahmen und Screenshots können einfach in ein digitales Protokoll [3] oder > Videoprotokoll integriert werden. Diese können durch Notizen zu weiteren Beobachtungen ergänzt werden [5].
- Die Kompetenz Prozesse zu beschreiben kann durch Textpuzzle oder Concept-Maps in Verbindung mit Zeitlupenvideos weiter gefördert werden [10].
Downloads und Links
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Arbeitsmaterial
Bewertungsraster für Zeitlupenvideos
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Arbeitsmaterial
Schritt-für-Schritt-Anleitung für die Kamera- und Foto-App (iOS)
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ARBEITSMATERIAL
Schritt-für-Schritt-Anleitung für iMovie
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Informationsmaterial
Handreichung zum Experiment „Flammensprung“
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Informationsmaterial
Handreichung zum Experiment „Staubexplosion“
-
Informationsmaterial
Handreichung zum Experiment „Explodierender Wasserstoffballon“
Literatur
- [1] Sieve, B., Graulich, N., Caspari, I. & Bittorf, R. (2017). Chemische Vorgänge als Prozesse erfassen. Naturwissenschaften im Unterricht Chemie, 28 (160), 2–7.
- [2] Sieve, B. & Koch, B. (2020). Experimentieren via Smartphone. Gummibärchenhölle und Papierchromatographie in Zeitlupe und Zeitraffer. Naturwissenschaften im Unterricht Chemie, 31 (177/178), 16–19.
- [3] Sieve, B. (2016). Mit Zeitlupenaufnahmen chemischen Phänomenen auf die Spur kommen. researchgate. https://www.researchgate.net/publication/312500759_Mit_Zeitlupenaufnahmen_chemischen_Phanomenen_auf_die_Spur_kommen
- [4] Hilfert-Rüppell, D. & Sieve, B. (2017). Entschleunigen biologischer und chemischer Abläufe durch Zeitlupenaufnahmen. In Lernprozesse mit digitalen Werkzeugen unterstützen. Joachim Herz Stiftung Verlag. https://www.joachim-herz-stiftung.de/fileadmin/user_upload/04_Lernprozesse_mit_dig_Werkz_unterst.pdf
- [5] Sieve, B., Struckmeier, S., Taubert, C. & Netrobenko, C. (2015). Unsichtbares sichtbar machen. Chemische Phänomene anhand von Zeitlupenaufnahmen verstehen. Naturwissenschaften im Unterricht Chemie, 26 (145). 23–27.
- [6] Tenzer, F. (2024). Smartphones — Meistgenutzte Marke bei Kindern 2020. Statista. Abgerufen am 15. Februar 2024, von https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1012550/umfrage/beliebteste-smartphone-marken-bei-kindern-in-deutschland/
- [7] Schmidkunz, H. (1983). Die Gestaltung chemischer Demonstrationsexperimente nach wahrnehmungspsychologischen Erkenntnissen. Naturwissenschaften im Unterricht. Physik, Chemie, 31 (10), 360–367.
- [8] Metzger, W. (1975). Gesetze des Sehens. Frankfurt: W. Kramer-Verlag.
- [9] Sieve, B. (2021). Tracking down chemical phenomena with the usage of mobile phone slow-motion videos. Chemistry teacher international, 3 (3), 221–227. https://doi.org/10.1515/cti-2019–0018
- [10] Caspari, I., Graulich, N., Lieber, L. & Rummel, L. (2017). „Die Flamme geht da runter“. Prozessbeschreibung von Lernenden analysieren. Naturwissenschaften im Unterricht Chemie, 28 (160), 19–23.
Literatur zu weiteren Einsatzmöglichkeiten in der Chemie
- Sieve, B. (2016). Aha-Effekte erzielen — durch den Einsatz von Bildern und Videos. Naturwissenschaften im Unterricht Chemie, 27 (153), 46.
Literatur zu weiteren Einsatzmöglichkeiten in der Physik
- Michel, M. & Wilhelm, T. (2010). Dynamik mit Hochgeschwindigkeitsvideos. Praxis der Naturwissenschaften — Physik in der Schule, 59 (7), 23–30.
Literatur zu Einsatzmöglichkeiten in der Biologie
- Hilfert-Rüppell, D. (2011). Unsichtbares sichtbar machen durch Zeitlupenfilm – Herstellung und Analyse als neue Aufgabe in der Schule. Praxis der Naturwissenschaften, Biologie in der Schule, 60 (2), 37 – 42.
- Hilfert-Rüppell, D. (2013). Zeitlupenfilme. Bioskop SI – Arbeitshefte. Westermann Schulbuch Verlag.