Einsatz von Wärmebildkameras beim Experimentieren

Schüler:innen haben häufig Verständ­nis­pro­bleme bei Energie­über­tra­gungen, ‑umwand­lungen und Tempe­ra­tur­än­de­rungen in chemi­schen und physi­ka­li­schen Prozessen, die ihnen im natur­wis­sen­schaft­li­chen Unter­richt begegnen [1]. Der Einsatz einer Wärme­bild­ka­mera kann insbe­son­dere quali­tativ neue Einblicke in thermi­sche Prozesse geben und so das Verständnis dafür fördern [2]. Im Folgenden werden die Kamera, ihr Mehrwert, ihre Handha­bung und einige konkrete Einsatz­mög­lich­keiten im Chemie- und Physik­un­ter­richt vorge­stellt. Weitere Einsatz­mög­lich­keiten auch für die Biologie finden sich in der weiter­führen Literatur.

Entwi­ckelt von Rebecca Tscheslog und Pauline Mundt

⬤ Unsere Einsatzideen der Kamera kurz vorgestellt

  • Zielgruppen: Sekun­dar­stufe I und II
  • Fächer: Chemie, Physik
  • Themen­ge­biete: Energie­um­wand­lung, Latente Wärme, (endotherme und exotherme) Phasen­über­gänge, endotherme Lösungs­pro­zesse, (exotherme) Redox­re­ak­tionen, Sauerstoffkorrosion
  • Ziel: Verständnis für die energe­ti­schen Aspekte von Prozessen fördern

⬤ Mehrwert von Wärmebildkameras beim Experimentieren

  • Durch den Einsatz der Wärme­bild­ka­mera entstehen neue Beobach­tungs­mög­lich­keiten. Dies gelingt durch die Messung von Infra­rot­strah­lung, die ansonsten für das mensch­liche Auge verborgen ist [3]
  • Die momen­tane Tempe­ratur wird an vielen Punkten gleich­zeitig gemessen, nicht nur an einem Ort wie mit einem Thermo­meter, dadurch wird/werden…
    • … ein räumli­ches und zeitli­ches Tempe­ra­tur­profil abgebildet, das weniger abstrakt ist als Zahlen eines Thermo­me­ters oder Temperaturdiagramme.
    • … hetero­gene Tempe­ra­tur­ver­tei­lungen sichtbar [3].
    • … sowohl eine quanti­ta­tive als auch quali­ta­tive Verfol­gung von thermi­schen Prozessen gewährleistet.
    • … thermi­sche Phäno­mene, insbe­son­dere dynami­sche Prozesse, anschau­li­cher visua­li­siert [2].
    • … das Verständnis für Energie­über­tra­gungen, ‑umwand­lungen und Tempe­ra­tur­än­de­rungen geför­dert [2].
  • Der Versuchs­aufbau wird durch eine kontakt­lose Messung vereinfacht.

Abbil­dung 1: Tablet mit angeschlos­sener Wärme­bild­ka­mera „Seek Thermal Compact“.

 

Welche Mehrwerte beim Einsatz der Wärme­bild­ka­mera zum Tragen kommen ist abhängig vom Experiment:

Zu folgenden Experi­menten bieten wir im Download­be­reich Material an.

Experi­ment: Abküh­lungs­pro­zess und Nachbau einer Kältekompresse

  • Die schritt­weise Abküh­lung der Umgebung ausge­hend von der Kompresse durch den endothermen Lösepro­zess wird visualisiert.
  • Kurzzei­tige, hetero­gene Tempe­ra­tur­än­de­rungen beim Bewegen der Harnstoff­lö­sung in der Kompresse und beim Rühren in einer Petri­schale können beobachtet werden.
  • Der Versuchs­aufbau wird durch die kontakt­lose Messung der Tempe­ratur vereinfacht.

Experi­ment: Kristal­li­sa­tion und Schmelzen eines Wärmekissens

  • Es wird visua­li­siert, dass die Wärme­frei­set­zung, ausge­hend vom Kristal­li­sa­ti­ons­keim, mit dem Ausbreiten der Kristal­li­sa­ti­ons­front einher­geht (s. Abb. 2).
  • Man kann beobachten, dass bei der Kristal­li­sa­tion ausge­hend vom Wärme­kissen Wärme an die Umgebung abgegeben und beim Schmelzen aufge­nommen wird.

Experi­ment: Wärme­frei­set­zung, Beschä­di­gung und Nachbau eines Wärmepflasters

  • Mit einem einfa­chen Versuch kann beobachtet werden, dass die Wärme­frei­set­zung über das gesamte Pflaster ungleich­mäßig ist und bei Beschä­di­gung steigt.
  • Es wird visua­li­siert, das Wasser für die Sauer­stoff­kor­ro­sion, dem Wirkprinzip des Pflas­ters, notwendig ist. Man kann verfolgen, dass Wärme dort freige­setzt wird, wo Wasser auf das Eisen­ge­misch trifft.

Experi­ment: Redox­re­ak­tion von Kupfer­sulfat und Eisen

  • Man beobachtet eine Wärme­frei­set­zung genau in dem Bereich, wo das Eisen in die Kupfer­sul­fat­lö­sung taucht.
  • Es wird visua­li­siert, das ausge­hend von diesem Bereich Wärme an die Lösung abgegeben wird und auch durch das Eisen­stück fließt.
  • Der Versuchs­aufbau ist durch die kontakt­lose Messung einfach.

 

Abbil­dung 2: Reales Bild und Tempe­ra­tur­profil des Kristal­li­sa­ti­ons­pro­zesses in einem Wärmekissen.

 

⬤ Technische Voraussetzungen

  • Ein Smart­phone oder Tablet pro Gruppe wird benötigt.
  • Eine Wärme­bild­ka­mera pro Gruppe wird benötigt. 
    • Ggf. ist ein passender Adapter für das Smart­phone oder Tablet erfor­der­lich. Zwecks Stabi­lität eignen sich am besten Adapter ohne Kabel­stück (s. Abb. 4).
    • Es eignen sich z.B. die Kamera­mo­delle in Tabelle 1.
    • Man muss zum Anzeigen der Wärme­bilder eine zum Modell passende, i.d.R. kosten­freie App auf das Endgerät herunterladen.

Tabelle 1: Verschie­dene Wärme­bild­ka­mera-Modelle für das Smart­phone oder Tablet im Vergleich.

 

 

Abbil­dung 3: Wärme­bild­ka­mera „Seek Thermal Compact“ der Firma Seek thermal.

Abbil­dung 4: Beispiel für einen Adapter ohne Kabelstück.

⬤ Die Handhabung der Kamera „Seek Thermal Compact“ und App „Seek thermal“

Wir haben mit dem Modell “Seek Thermal Compact” (s. Abbil­dung 3) gearbeitet, da es als einziges von vergleichbar günstigen Produkten mit den Anschlüssen USB‑C, MicroUSB und Light­ning erhält­lich ist. Zudem ermög­licht dieses Modell im Vergleich Aufnahmen im größten Tempe­ra­tur­be­reich mit der besten Auflö­sung, dessen zugehö­rige App sowohl mit iOS als auch Andro­idOS kompa­tibel ist.

Die Handha­bung der Kamera und App erfolgt intuitiv. Die Kamera wird über den Ladean­schluss mit dem Tablet oder Smart­phone gekop­pelt. Es folgt automa­tisch eine Meldung, über die man die App „Seek thermal“ öffnet. Man kann nun passende Einstel­lungen für die Messung vornehmen:

  • Es können verschie­dene Modi ausge­wählt werden, die die quanti­ta­tive Anzeige der Tempe­ratur regeln.
  • Mit Auswahl der Farbpa­lette bestimmt man das Farbspek­trum, das der Tempe­ratur zugeordnet wird.
  • Durch Drehen der Linse kann man das Bild fokussieren.

Die Wärme­bilder können durch Fotogra­fieren oder Video­gra­fieren festge­halten werden. Die Aufnahmen werden automa­tisch in der Medien­ga­lerie der App gespei­chert und können z.B. in Notiz-Apps expor­tiert und so in digitale Mappen oder Versuchs­pro­to­kolle integriert oder mit anderen Geräten geteilt werden.

Im Download­be­reich finden Sie eine Schritt-für-Schritt-Anleitung.

Video 1: Handha­bung der App „Seek thermal“.

⬤ Ideen für die Umsetzung im Unterricht

In den Handrei­chungen im Download­be­reich werden unter­schied­liche Experi­mente für den Chemie- und Physik­un­ter­richt beschrieben, bei denen die Wärme­bild­ka­mera einge­setzt wird:

  • Abküh­lungs­pro­zess und Nachbau einer Kältekompresse,
  • Kristal­li­sa­tion und Schmelzen eines Wärmekissens,
  • Wärme­frei­set­zung, Beschä­di­gung und Nachbau eines Wärmepflasters,
  • Redox­re­ak­tion von Kupfer­sulfat und Eisen.

Die Handrei­chungen beinhalten einen didak­ti­schen Kommentar, der z.B. aufzeigt, welche chemi­schen und physi­ka­li­schen Fachin­halte anhand der Experi­mente erworben werden können. Sie enthalten zudem eine Erklä­rung des fachli­chen Hinter­grundes und eine Versuchs­an­lei­tung mit einer Liste benötigter Materia­lien und Chemi­ka­lien, der Durch­füh­rung, Beobach­tung sowie eine Inter­pre­ta­tion dieser.

⬤ Tipps und Hinweise für die Umsetzung im Unterricht

Für die Auswahl geeig­neter Experi­mente zum Filmen mit der Wärmebildkamera

  • Darstel­lung nur von Tempe­ra­turen in einem bestimmten Kamera­mo­dell-spezi­fi­schen Bereich. Die meisten günstigen Modelle haben einen Bereich zwischen etwa ‑40°C und 400°C. Das Wärme­bild einer Brenner­flamme kann z.B. nicht erstellt werden.
  • Für quanti­ta­tive Messungen, bei denen Genau­ig­keit entschei­dend ist, ist eine Wärme­bild­ka­mera weniger geeignet.

Für den Versuchsaufbau 

  • Kein Glas zwischen Wärme­quelle und Kamera, wegen der Refle­xion der Wärme­strah­lung an Glasge­räten [4]! Z.B. Geräte mit einer großen Öffnung nutzen, wie Petri­schalen oder Becher­gläser (aus Plastik), und von oben filmen.
  • Wärme­quellen aus der näheren Umgebung entfernen, wegen der Refle­xionen des Messge­gen­standes selbst und benach­barten Objekten!

Für die Messung 

  • Distanz zum Versuch und zur Wärme­bild­ka­mera einhalten, wegen der eigenen Körper­wärme [4]!
  • Durch die Anpas­sung der Skala muss eine Farbe nicht unbedingt über die gesamte Messung der gleichen Tempe­ratur zugeordnet sein, was leicht zu Missver­ständ­nissen führt. Korrektes Lesen der Wärme­bilder am besten zuvor mit den Schüler:innen üben [2].
  • Bei der Aufnahme großer Bereiche sind kleine Tempe­ra­tur­ver­än­de­rungen nicht immer gut zu sehen, da die große Menge an Messwerten diese „verwi­schen“.

Für die Messung mit der Kamera “Seek Thermal Compact” 

  • Für die meisten Versuche eignet sich der „Vollbild-Modus“ gut, da durch die klein­schrit­tige Skala eine Farbe einfa­cher einer Tempe­ratur zugewiesen werden kann.
  • Möchte man auch das reale Bild neben dem Tempe­ra­tur­profil auf dem Bildschirm sehen, eignet sich der „Thermal+-Modus“.
  • Für die meisten Versuche eignet sich die Farbpa­lette „Spectra“ durch ihre klare, intui­tive Farbabstufung.
  • Möchte man die Schüler:innen von der intui­tiven Farbzu­ord­nung (Rot = warm, Blau = kalt) [5]  lösen, eignet sich die Farbpa­lette „Iron“.

 

Abbil­dung 5: Wärme­kissen in Farbpa­lette „Spectra“.

Abbil­dung 4: Wärme­kissen in Farbpa­lette „Iron“.

Für die Nachbe­ar­bei­tung von Videoaufnahmen 

  • Auf Zeitraffer bei Videos verzichten, denn die Beschleu­ni­gung der Aufnahmen führt durch die ständige Bildan­pas­sung zum Verwa­ckeln. Statt­dessen Sequenzen kürzen und neu zusam­men­fügen, wobei beachtet werden muss, dass ein Teil der Dynamik des Prozesses u.U. verloren geht.

 

Downloads und Links

  • Arbeitsmaterial

Schritt-für-Schritt-Anlei­tung Kamera „Seek Thermal Compact“ und App „Seek thermal“

  • Informationsmaterial

Handrei­chung zur Versuchs­reihe mit der Kältekompresse

  • INFORMATIONSMATERIAL

Handrei­chung zur Versuchs­reihe mit dem Wärmekissen

  • Informationsmaterial

Handrei­chung zur Versuchs­reihe mit dem Wärmepflaster

  • Informationsmaterial

Handrei­chung zum Versuch „Redox­re­ak­tion von Kupfer­sulfat und Eisen“

Literatur

  • [1] Barke, H.-D. (2006). Chemie­di­daktik – Diagnose und Korrektur von Schüler­vor­stel­lungen. Berlin, Heidel­berg: Springer-Verlag.

  • [2] Stinken-Rösner, L. (2021). Der „verlo­renen“ Energie auf der Spur – Einsatz­mög­lich­keiten von Wärme­bild­ka­meras im Physik­un­ter­richt. In J. Meßinger-Koppelt & J. Maxton-Küchen­meister (Hrsg.): Natur­wis­sen­schaften digital – Toolbox für den Unter­richt, Band 2, (28–31). Hamburg: Joachim Herz Stiftung.
  • [3] Weßnigk, S. & Heinicke, S. (2017). Die Wärme­bild­ka­mera – Ein Beitrag zur Sinnes­er­wei­te­rung. Natur­wis­sen­schaften im Unter­richt Physik, 28(159/160), 38–43.
  • [4] Schrader, F. & Schanze, S. (2021). Zielori­en­tierter Einsatz der Wärme­bild­ka­mera im Chemie­un­ter­richt. In J. Meßinger-Koppelt & J. Maxton-Küchen­meister (Hrsg.): Natur­wis­sen­schaften digital – Toolbox für den Unter­richt, Band 2, (28–31). Hamburg: Joachim Herz Stiftung.
  • [5] Krees, G. & van Leeuwen, T. (2002). Colour as a semiotic mode: notes for a grammar of colour. Visual Commu­ni­ca­tion 1 (3), 343–368.

Literatur zu weiteren Einsatz­mög­lich­keiten in der Chemie

  • Bohrmann-Linde, C. & Kleefeld, S. (2020). Der Wärme auf der Spur. Natur­wis­sen­schaften im Unter­richt Chemie, 177/178, 20–23.
  • Wagner, T. & Kempke, T. (2021). Bildge­bung trifft Chemie: Vom Einsatz einer Wärme­bild­ka­mera im Chemie­un­ter­richt der Sekun­dar­stufe I. CHEMKON, 29 (7), 664–672.

Literatur zu weiteren Einsatz­mög­lich­keiten in der Physik

  • Grötze­bauch, H. (2020). Versuche zur Thermo­dy­namik. https://www.physik.fu-berlin.de/einrichtungen/ag/ag-nordmeier/download/thermodynamik/Skript_Thermodynamik.pdf

Literatur zu Einsatz­mög­lich­keiten in der Biologie

  • Ricker, K.-M. (2018). Experi­men­tieren mit Peltier-Element und Co: Vom subjek­tiven Wärme­emp­finden zu objek­tiven Messungen. Biologie im natur­wis­sen­schaft­li­chen Unter­richt 5 bis 10, 21, 30–33.
  • Stinken-Rösner, L. & Roden­hauser, A. (2021). Auf die Tempe­ratur kommt es an! Digital unter­richten Biologie, 7, 8–9.